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     Warum ist die Freud`sche
    psychoanalytische Sicht not-wendend?   
    Ein alter
    jüdischer Witz lautet:   
    In einer
    dunklen Gasse sucht ein Mann im Licht einer Strassenlaterne
    seinen Hausschlüssel. Ein Spätheimkehrer kommt vorbei und bietet ihm seine
    Hilfe an. Nachdem beide eine Zeitlang erfolglos im Licht der Laterne nach
    dem Schlüssel gesucht haben, fragt er den Pechvogel, wo genau er seinen
    Schlüssel denn verloren habe. Darauf antwortet dieser, daß ihm der
    Schlüssel dort drüben, direkt vor der Türe im dunklen Hauseingang, aus der
    Hand gefallen sei. Und als er gefragt wird, warum er dann so weit entfernt
    vom Verlustort suche, antwortet er: "Im
    Hauseingang ist es sehr dunkel, da sehe ich ja nichts, hier dagegen habe
    ich genügend Licht."   
    Wer
    Erklärungen für menschliche Verhaltensweisen sucht, nach den Ursachen fragt
    und Lösungen anstrebt, wird sich zurecht dem Lichte
    der empirischen psychologischen Wissenschaft anvertrauen, die auch durchaus
    das Problem zu erhellen vermag. Er wird sich jedoch nach einiger Zeit
    verwundert fragen, aus welchem Grunde man trotz der erhellenden Sichtweise
    dem Problem noch keinen Schritt nähergekommen ist. Die Ursache liegt wohl
    noch im Dunkeln. Wie aber soll man im Dunkeln suchen? Der
    "Lichtkegel" der empirischen Psychologie wird begrenzt durch den
    Schirm der computerisierten Meßmethoden (um den sie auch stets sehr besorgt
    ist, damit sie sich vor den Anfeindungen `rational` denkender Kritiker und
    einer skeptischen Öffentlichkeit zu schützen und sich als die
    "wahre" Wissenschaft zu präsentieren vermag).   
    Die Seele
    des Menschen bleibt jedoch der dunkle Kontinent, als den ihn schon Freud
    bezeichnet hat und alle Versuche, ihn nach streng positivistischen,
    empirisch wissenschaftlichen Maßstäben zu erforschen, haben uns zwar
    interessante Einblicke gewährt, insgesamt jedoch blieben die Bilder, die
    man von diesem Kontinent erhielt, seltsam leblos, als prüfe und untersuche
    man stets nur nach Lage und Anzahl, Größe und Breite die Spuren der dort
    heimischen Lebewesen, ihre Fährten im Sand, ihre Ausscheidungen, jedoch nie
    wohin diese Spuren führen, nie das Lebewesen selbst, das immer bereits verschwunden
    ist, wenn der empirische Wissenschaftler mit seinen Gerätschaften
    anrückt.    
    Psychoanalyse
    ist ebenso eine Wissenschaft wie die Psychologie, jedoch geht es in ihr
    mehr um das Verstehen als um das messende Untersuchen. Überspitzt ließe
    sich der Unterschied in folgendem Beispiel darstellen:   
    Der
    Psychologie wird die Frage gestellt: Was ist ein Apfel? Ein empirischer
    Psychologe beschäftigt sich mit dem Problem und kommt schließlich zu dem
    Ergebnis, daß ein Apfel aus zwei Hälften besteht. Ein weiterer Psychologe
    berichtigt den ersten, daß ein Apfel vielmehr aus vier Vierteln bestehe,
    ein anderer korrigiert wiederum den zweiten, er bestehe aus acht Achteln.
    Sie alle haben recht.   
    Ein
    Psychoanalytiker jedoch wird sich zunächst fragen: Wie ist ein Apfel? Was
    mache ich mit dem Apfel? Ist es sinnvoller, ihn zu essen oder ihn gegen
    eine Wand zu werfen? Was empfinde ich dabei? Es ist ihm also nicht so
    wichtig, woraus der Apfel besteht, sondern er nimmt ihn als das, was er ist
    und fragt sich: Welches Verständnis habe ich von diesem Apfel? (Zur Kritik
    vor allem an den Methoden der empirischen Psychologie ließe sich noch
    weitaus mehr anführen. Beispielsweise ist es unter Eingeweihten eine weit
    verbreitete Tatsache, daß Untersuchungen durchgeführt werden nach Art des
    unfehlbaren Schützen: Man schießt einen Pfeil ab und dort, wo er auftrifft,
    malt man später eine empirische Zielscheibe darum. Ein Wissenschaftler
    meinte, er glaube nur einer Statistik, die er selbst gefälscht habe.)  
     
    Das Licht
    der empirischen Psychologie reicht nicht. Man muß auf die Knie und mit den
    Händen tasten, man muß ohne das Licht auskommen, lernen, sich im Dunkel zu
    bewegen, bis ein anderer Sinn als der unserer Augen uns den Weg zu weisen
    vermag. Ein Blinder erweckt normalerweise den Eindruck, als fehle ihm eine
    wesentliche, ja die wichtigste Fähigkeit des Menschen. Im Dunkeln jedoch,
    da, wo das Licht nicht hinreicht, weiß er sich sicher zu bewegen. 
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