Bernd Selbmann
Über Ottokar Uhl
Zum Verständnis der Person, Arbeit und Schule
Auszug aus dem Beitrag „Perspektiven für partizipatorisches Bauen“ – Versuche der
Annäherung an Ottokar Uhl, erschienen in: Lienhardt, Conrad (Herausgeber):
Ottokar Uhl, Werk, Theorie, Perspektiven, Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2000
Über seine Jugendzeit sprach Ottokar Uhl praktisch nie. So können wir nur
feststellen, daß er nach Mittelschulbesuch in Kärnten und Wien das
Ingenieurstudium an der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt,
Mödling begonnen hatte und 1950 an die Akademie der bildenden Künste in Wien kam. Er besuchte die Meisterschulklasse von Prof. Lois Welzenbacher. Bis 1953 erhielt Uhl dort den Meisterschulpreis und den Fügerpreis,
sein Diplom wurde mit dem Preis der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs ausgezeichnet.
Lois Welzenbacher
Zunächst zu Lois Welzenbacher, dessen Werk Friedrich Achleitner und Ottokar
Uhl 1968 publiziert haben. Theodor Fischer - Lehrer Welzenbachers in München - beschreibt die besondere Haltung Welzenbachers 1928:
"Es erscheint vollkommen natürlich, wenn Welzenbacher in seinen kleinen
Wohnhausbauten so durchaus tirolerisch ist und im Monumentalen der guten Sachlichkeit und neuen Einfachheit huldigt. Ein Gegensatz ist da nicht mehr zu finden." (1)
Welzenbacher arbeitete an einer großen Zahl von Themen, vom kleinen Wohnhaus bis
hin zu utopischen Stadtentwürfen. Achleitner und Uhl halten zum Thema Kirchenbau etwas fest, was besonders deshalb interessant ist, weil Welzenbacher nie einen Kirchenbau realisiert hat:
"Eine Überraschung für diese Zeit (um 1930) müssen wohl die Kirchenentwürfe
gewesen sein. die in ihrer programmatischen Tendenz erst heute, nach dem 2. Vatikanischen Konzil, voll gewürdigt werden können. Diese Projekte wurden in vielen deutschen Städten ausgestellt. Daß es Welzenbacher hier
um eine grundlegende Fragestellung ging, beweist der Umstand, daß zu diesen Problemen sogar schriftliche Äußerungen vorliegen, die sich der wortkarge Architekt nur selten abringen konnte." (1)
Aussagen des Architekten zu seiner Arbeitsweise fehlen, weshalb man auf die
Berichte von Mitarbeitern und Schülern angewiesen ist:
"Ein fast "ritueller" Charakter kam dem ersten Besuch des
Grundstücks zu. Es konnte geschehen, daß Welzenbacher auf Grund der Lage oder der baulichen Nachbarschaft einen Bauauftrag ablehnte. Die Beschäftigung mit der Lage des Hauses währte oft (an Ort und Stelle) mehrere
Tage, wobei der Bauplatz nach allen Richtungen hin abgeschritten und studiert wurde."....
"Nach der Kontaktnahme kam es meist zu Skizzen oder zu ersten Versuchen am
Plastilinmodell. Es konnte aber auch geschehen, dass Welzenbacher tagelang ("wie eine Schwangere") schlechtgelaunt herumsaß, bis ihm schließlich innerhalb kürzester Zeit der Entwurf gelang. Das heißt
nichts anderes als daß Welzenbachers Entwurfsmethode eine intuitive war, die ihre Anregung nicht nur aus dem geforderten Bauprogramm, sondern vor allem aus der Realisierung dieses Programms in einer bestimmten
Situation bezog. Seine Entscheidungen waren vielfach Reaktionen auf Gegebenheiten. Vielleicht ist auch daraus zu erklären, daß seine Entwürfe oft lange Zeit hindurch "offen" blieben (das heißt: es gab also
durchaus noch Möglichkeiten für Varianten). Gerade bei Wettbewerben (mit einem oft nicht ganz definierten Raumprogramm) machte er immer wieder mehrere Vorschläge, von denen oft sogar zwei prämiiert wurden. Dieser
"Mangel" an Entschiedenheit hat sicher auch etwas mit jener Überlegung zu tun, die es vermeidet, frühzeitig einigen Faktoren die Vorherrschaft zuzugestehen." (1)
Nicht frühzeitig „einigen Faktoren die Vorherrschaft zugestehen
Wenn hier Welzenbacher als intuitiver Entwerfer vorgestellt wird, so sind davon
einige Aspekte bei dem scheinbar so rationalen Ottokar Uhl zu finden. Nicht nur die systematische Kontaktaufnahme mit dem Bauort und dem Bauprogramm, sondern auch die Grundhaltung der "Reaktion auf die
Gegebenheiten". Nicht das großartige selbständige Auftrumpfen, sondern die Anerkenntnis des Ortes und des Vorgefundenen, allerdings auch die dann eingreifende Transformation lassen sich bei Uhl jederzeit sowohl
bei den kleinen Kapellenprojekten als auch bei den größeren Anlagen wie in Karlsruhe - Neureut nachweisen.
An der Planung für Karlsruhe - Neureut läßt sich auch bei Uhl die von Welzenbacher
geschilderte intuitive "Reaktion auf die Gegebenheiten" zeigen. Ottokar Uhl hatte vor Beginn der Wettbewerbsarbeit ein fertiges Plastilinmodell in winzigem Maßstab gemacht. Auf der flachen Hand hat er es
präsentiert - und lediglich über die Höhe des höchsten Kirchenschiffs war er sich im Bezug zur Umgebung noch nicht ganz sicher....
Der Wunsch den Entwurf bis "zuletzt" und womöglich noch nach der
Entscheidung "offen" zu halten ist bei Ottokar Uhl extrem ausgeprägt. Alle seine Zeichnungen sind von zartester Art, denn schon die Linie wird als eine Festlegung - damit als Einschränkung der
Freiheit - von Uhl begriffen. In vielen Plänen finden sich punktierte und strichpunktierte Linien, die eine Alternative, eine weitere Möglichkeit der Nutzung usw. beschreiben. Uhls Räume sind dementsprechend zwar in
der Kubatur festgelegt, aber schon bei der weiteren Einrichtung versucht er Nutzungsvarianz ganz bewußt einzuplanen. Typisch für Uhls Arbeitsweise ist, dass eine Vielzahl von - möglichst systematisch erarbeiteten -
Nutzungsvarianten dann auch tatsächlich in Form einer Zeichnung oder in Modellen auf ihre Durchführbarkeit untersucht werden.
Eine "Überlegung, die es vermeidet, frühzeitig einigen Faktoren die
Vorherrschaft zuzugestehen"... man kann kaum präziser ausdrücken, was Ottokar Uhl daraus werden ließ, wenn er zur Verzweiflung der weniger sensiblen Menschen in einem Projekt (beispielsweise dem
unternehmungslustig pragmatischen Chef einer Wohnbauträgergesellschaft) einigen "Faktoren noch immer keine Vorherrschaft zugestehen" wollte, wo doch scheinbar nur eine und für jeden klare Lösung auf der
Hand lag. Interessant auch, daß sein Zögern am Ende sehr oft die Türe öffnete für eine Lösung, die weder er noch die Projektbeteiligten bis dahin favorisiert oder für möglich gehalten hatten.
Ordnungen sind Grundlagen
Achleitner und Uhl zitieren in ihrem Welzenbacher - Band eine Arbeit von Guido
Harber, der am Beispiel einer Badehütte (Kleiner Wohnraum mit Terrasse, 1925) die Planungsarbeit Welzenbachers analysierte: "Diese ausführliche Analyse ist in eine Beschreibung des Objektes, in einen
Abschnitt über "Zweckerfüllung und künstlerische Gestaltung" und in eine Aufzählung von Proportionsbeispielen gegliedert." (1). Die dann folgende Schilderung und auch weitere Hinweise, z. B. auf
Welzenbachers Bevorzugung von "überhöhten" Rechtecken, die quadratisch wahrgenommen werden, zeigen sehr subtile Kenntnisse von Proportionen, die von Welzenbacher wohl im Wege der Meisterschularbeit am
Projekt, also nicht durch Vorlesungen oder Theoriebeiträge weitergegeben wurden. Seine Lehrtätigkeit wird so beschrieben, daß er auf die Arbeit des Schülers ein Skizzenblatt legte und dann erklärend und zeichnend
lehrte.
In den konkreten Entwurfsprozessen seiner eigenen Arbeiten hat Uhl ständig die
richtigen Proportionen gesucht. Gestalterische Ordnung zu schaffen ist bei ihm immer mit maßlicher Ordnung und mit abgewogenen Verhältnissen verbunden. Selbst einer Fassade mit einer Vielzahl von Fensterformen liegt
ein Maßordnung zu Grunde. Ich verweise darauf, weil damit der Nachweis geführt werden kann, daß Uhl auch in den partizipatorischen Prozessen Beliebigkeit vermeidet - sich also mit dem Wissen des Architekten
einbringt.
Konrad Wachsmann
Wenn ich Ottokar Uhl auch schon als "rational" apostrophiert habe, dann
führt dies zu der schon zitierten zweiten Persönlichkeit, die ihn beeinflußt hat, zu Konrad Wachsmann.
Konrad Wachsmann, dessen Wesen, Denken, Handeln und Leben von Michael Grüning in
den beiden Bänden "Der Architekt Konrad Wachsmann" und "Ein Haus für Albert Einstein" so beeindruckend geschildert wird, muß für Ottokar Uhl und mit ihm für eine ganze Gruppe junger
österreichischer Architekten, wie Achleitner, Gsteu, Spalt u.a. tiefste Eindrücke hinterlassen haben. Er, Wachsmann, war gleichsam personifiziert der "Wendepunkt im Bauen", der die
Zukunft in der Industrialisierung, der Vorfertigung bei Christoph und Unmack in Dresden erprobt und später in den USA fortgesetzt hatte. Wachsmann steht auch für die Auseinandersetzung mit neuen Technologien und
neuen Aufgaben, die damals zu gigantischen Stadtutopien geführt haben. Zugleich ist aus Wachsmanns Arbeit aber immer die Pragmatik des Ingenieurs zu erkennen, der nicht in die losgelöste Utopie abgleitet.
Uhls Interesse galt auch den Bauprozessen selbst, den konstruktiven Möglichkeiten
und den Materialien. Noch heute verzweifelt er, wenn in einem frisch erstellten Mauerwerksbau erst einmal die Zerstörung für die Schlitze der Installationen einsetzt. Dieses Vorgehen ist zutiefst unökologisch,
unökonomisch und vollständig mittelalterlich, wenn man es mit den Methoden der Fertigung anderer Gebrauchsgüter vergleicht. Insoweit war Ottokar Uhl immer auf der Suche nach dem industrialisierten Bauen.
Mit Blick auf Ottokar Uhl als Architekt sind es wohl einerseits der intuitiv
sensible eher in sich gekehrte Welzenbacher, andererseits der ingenieus und technologisch rationale weltläufige Wachsmann, die zu den Vätern seiner architektonischen Arbeit wurden und von denen man bei Ottokar Uhls
Arbeitsweisen manches wiederfindet.
Nikolaus Habraken
Auf dem Weg zu rational koordiniertem Bauen ist schließlich noch Nikolaus Habraken
als Wegbegleiter zu nennen. Habraken hat es sich zum Ziel gemacht ein bauliches Konstruktions- und Maßsystem so zu entwickeln, dass die Harmonisierung der Maße eine durchgehende maßgenaue Vorfertigung von Bauteilen
erlauben sollte. Damit könnte der Bauwillige aus dem ganzen Markt der Bauteile wählen und hätte die Gewißheit, dass die gewählten Bauteile auch zueinander passen. Die seit 1964 von der holländischen "s
tichtingarchitecten research" unter Habraken entwickelte Planungsmethode "SAR", wurde von Ottokar Uhl nicht nur am Karlruher Lehrstuhl unterrichtet, sondern auch bei der Planung
der eigenen Projekte verwendet. Genau dieses Maßsystem liegt als Koordinationsinstrument auch bei all seinen partizipatorisch geplanten Wohngebäuden zu Grunde.
Ottokar Uhl als Hochschullehrer
Ottokar Uhl hat von seinen Kenntnissen vieles an seine Schüler weitergegeben
manches aber nur, wenn die Schüler insisitierten. Die Arbeit seines Lehrstuhls war in den 70iger und 80iger Jahren von den Ansätzen zur Stadterneuerung aus ökonomischer, denkmalpflegerischer, rechtlicher usw.
Sicht geprägt, später vom Einzug der computerunterstützten Planung und den Veränderungen der Bauaufgaben in der Informationsgesellschaft.
Erst wer sich mit einer Studienarbeit zum eigenen Lösungsvorschlag durchgearbeitet
hatte, der konnte plötzlich - und sicher für manche Studierenden überraschend - eine Korrektur auf dem Gebiet der Gestaltung erfahren. Es versteht sich, dass derartige Überraschungen mit einem ganz besonderen
Stellenwert versehen in die weitere Arbeit einfließen.
Im Unterschied zu Welzenbacher bleibt aber festzuhalten, dass Ottokar Uhl fast
ausschließlich verbal korrigierte und wenn er formal etwas zeigen wollte auf Beispiele verwies, die man sich selbst erschließen mußte, oder die er aus seiner ständig präsenten Literatur beizog.
Die eigene Zeichnung vermied er - sie hätte ihn festgelegt und das Hineinzeichnen
in studentische Arbeiten wäre ihm schon aus purer persönlicher Achtung der Arbeit des Mitmenschen niemals in den Sinn gekommen.
Höchste Bedeutung maß er dem Erschließen der eigene Interessen und dem Einsatz der
eigenen Fähigkeiten zu. So ist es kein Wunder, dass an seinem Lehrstuhl eine extrem große Zahl von Studien- aber auch Diplomarbeiten mit Themenstellung nach eigener Wahl entstand und mit Preisen ausgezeichnet wurde.
Ottokar Uhl wirkte für die Studierenden in dieser Hinsicht mit seinem eigenen weiten Blick und der persönlichen Kenntnis von Spitzenwissenschaftlern auf vielen Gebieten wie ein Katalysator, der den Studierenden die
Wege öffnete.
Ottokar Uhl hätte mit diesen Voraussetzungen: Kenntnis des Intuitiven und eigenen
intuitiven Fähigkeiten, Kenntnis des Technisch - rationalen und eigenen technisch - rationalen Fähigkeiten bis hin zu Kenntnis von Planungsmethodik und eigenem methodischem Vorgehen nicht seine so außergewöhnliche
Kontur gefunden, wenn in seine Kenntnisse und Fähigkeiten als Antriebskraft nicht die sehr persönliche Überzeugung eingeflossen wäre, dass er seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu einer sozialen Verbesserung der
Lebensumstände anderer Menschen einsetzen muß. Er hat daraus keine Überlegenheit geschöpft sondern den Auftrag anderen Hilfe zur Selbsthilfe auf dem Gebiet des Bauens, des Sich einrichtens, letztlich der
Lebensgestaltung zu geben.
Ottokar Uhl ist - wie Lois Welzenbacher - eigentlich in keiner Gruppe zu
fassen. Er ist viel zu eigenständig, um sich einer Gruppe anzuschließen. Manche fachlichen Enttäuschungen trafen ihn zutiefst persönlich und so blieb er gegen alle Verbrüderungsabsichten gefeit. Andererseits ist
sein stets wacher Intellekt unablässig auf der Suche nach Neuem und nach Neuerern. Ottokar Uhl ist kontaktfreudig und sein Bekanntenkreis ist enorm groß - trotzdem ist er in der Hinsicht auf die Durchsetzung seiner
Ideen ein Einzelgänger. Es ist zu vermuten, dass dies mit der Kompromißlosigkeit, der Eindeutigkeit und der Konsequenz zu tun hat, mit der er seine Vorschläge einbringt und vertritt.
Fußnote:
(1) Achleitner, Friedrich und Uhl, Ottokar, Lois Welzenbacher, Salzburg, 1968
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