Freudsche Psychoanalyse

 


Psychische Antriebe
Das Ich oder: Wie erkenne ich die Wirklichkeit?

Das frühe flüchtige Ich oder: Warum wird jemand wahnsinnig ? (Psychose)


Das Ich des Menschen ist ihm nicht "angeboren" in einem Sinne, daß es ausreichte, ein Kind mit Essen, Körperpflege, Kleidung, und Wohnraum zu versorgen und irgendwann hätte es dann ein Ich entwickelt, sondern es bedarf bestimmter Voraussetzungen, damit das Ich sich voll entwickeln, damit es "reifen" kann.

Das Kind besitzt noch keine Vorstellung davon, daß etwas außerhalb seines Körpers existiert, daß es außer seinen Bedürfnissen noch etwas anderes gibt. Psychologisch ausgedrückt: Das Kind verfügt noch über keine Objektbeziehung, es lebt in der Symbiose mit der Mutter. Das Ich des Säuglings ist noch kein Ich in der Unterscheidung zwischen "Ich" und "Du", sondern wird zunächst ausschließlich, später dann immer weniger durch die Mutter, Nation, Partei, oder Gruppe repräsentiert: "Ich bin Du". Eine funktionierende symbiotische Beziehung schafft im Kinde das "Urvertrauen". Der Säugling fühlt sich als ein Ich vor allem, weil die Mutter ihm ihre Liebe vermittelt und in dieser emotionalen Verschmelzung solange das Kind an ihrem Ich teilnehmen läßt, bis das Kind ein eigenes Ich entwickelt hat.

Die Ich-Bildung beim Säugling läßt sich vergleichen mit dem Schüler-Spiel "Schiffchen versenken". Zunächst ist ein bloßes Raster vorhanden, der Säugling "wählt" mehr oder minder zufällige Koordinaten aus, und wo er Rückmeldungen der Mutter erfährt, bildet sich langsam eine fest umrissene Gestalt heraus, die sich jedoch - und hier muß ich das Bild wieder verlassen - später weiter entwickeln und verändern kann.

Das Ich des Säuglings ist flüchtig wie ein Ort, an dem sich zwei Laser-Strahlen treffen, dieser Ort ist immer woanders, immer gerade da, wo sich die beiden Strahlen kreuzen; sobald jedoch der Lichtstrahl der Mutter erlischt, verschwindet der Ort, an dem sich die beiden begegnet sind, und das Gefühl des Kindes läuft ins Leere, sein Ich verschwindet.

Etwa ab dem achten Lebensmonat nimmt das Kind dann wahr, daß es außer ihm und der Mutter noch andere Menschen gibt, es ist mehr und mehr imstande, Fremdes und Vertrautes zu unterscheiden und es beginnt, eigene Wege zu gehen. Voraussetzung hierfür ist erstens, daß es bis dahin ausreichend emotionale Unterstützung von der Mutter erhalten, genügend Urvertrauen hat, um sich überhaupt in eine fremde Welt aufzumachen und zweitens, daß die Mutter fähig ist, das Kind "loszulassen".

Denn das Kind entfernt sich in dieser Phase auch emotional von der Mutter, die dyadische (zu zweit) Beziehung wird zugunsten einer triadischen (zu dritt) Beziehung aufgegeben.

Wenn das Kind sich emotional von der Mutter nicht distanzieren kann oder darf, entweder weil es außer der Mutter keine andere, also männliche Bezugsperson zur Verfügung hat, oder weil die Mutter keine andere Person emotional an das Kind heranläßt, auch den Vater nicht, dann wird das Kind in seiner Entwicklung dahingehend gehemmt, daß es die Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich ungenügend erfahren, erleben und erlernen kann. Daraus folgt, daß es unzureichend zwischen seiner Innenwelt und der Außenwelt unterscheiden kann, zwischen seiner Phantasie und der äußeren Realität, zwischen seinen Gefühlen und den Gefühlen anderer Menschen, etc. Solche Menschen können dann auch schlecht zwischen eigenen Gedanken und äußeren Stimmen unterscheiden. Wo ein anderer sagen würde, er habe etwas gedacht, meint ein Psychotiker, er habe Stimmen gehört. Vorzugsweise werden eigene Gefühle anderen Menschen zugeschrieben (Projektion), insbesondere aggressive Gefühle, so daß der Psychotiker nicht seinen eigenen Haß spürt, sondern glaubt, der Andere, den er haßt, würde ihn hassen. Mordangriffe von Psychotikern auf andere Menschen werden durch solche projektiven Vorgänge verursacht. Der Psychotiker ist der Ansicht, der andere habe ihn ermorden wollen, er habe sich nur gewehrt. "Ab fünf Uhr dreißig wird zurückgeschossen."

Die Ursache der o.g. Problematik ist eine Mutter, die "nicht gut genug" war, d.h. mehr oder weniger lieblos und kalt, dabei oft überversorgend und besitzergreifend, eine Mutter, die sich dem Kind zu wenig zu-wendet und auf diese Weise dem kleinen Menschen zu wenig die Möglichkeit bietet, das Gute der Mutter in sich selbst aufzunehmen, zu introjizieren, und dadurch das Urvertrauen zu schaffen. Zugleich werden weitere Mechanismen verhindert: Der Säugling empfindet Wut, bzw. - da Säugling und Mutter noch nicht getrennt sind - empfinden für den Säugling beide Wut, wenn er Unbefriedigendes erlebt: z.B. daß die Mutter 8Nation, Paartei, Gruppe) auf sein Schreien hin nicht erscheint. In dieser Unbefriedigtheit ist der Säugling "ganz Wut", d.h. er kann seine Wut nicht durch vernünftige Überlegungen einschränken, wie z.B.: Die Mutter ist nur kurz zur Nachbarin gegangen und wird gleich kommen. Er kennt nur Befriedigung und Unbefriedigtheit als gut und böse und kann diese Extreme nicht vermischen, sondern nur teilen: Entweder ist die Mutter ein Teufel und das Kind ein Engel oder umgekehrt, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Es gibt nur zwei Personen und es gibt nur zwei Möglichkeiten. Damit das Kind seine Gut-Böse Spaltung überwinden kann, muß es die Möglichkeit haben, manchmal von einer dritten, sicheren Position aus die Mutter zu betrachten: aus seiner Beziehung zum Vater. Das Kind muß die Möglichkeit haben, in Ruhe zwischen der Mutter und dem Vater zu pendeln, damit es seine Himmel-Hölle Gefühlswelt ausbalancieren und auf die Erde kommen kann, im Idealfall auf die Basis: Ich bin O.K., Du bist O.K.

Der Psychotiker, oder anders ausgedrückt, der Wahnsinnige hat ein so schwaches Ich, daß er seine Phantasie von der Realität nicht unterscheiden kann und ist dadurch für die Außenwelt meistens ungefährlich, weil er seine Vorhaben aufgrund der Realitätsverkennung kaum in die Tat umsetzen kann. Dem Psychotiker reicht es, wenn er in seiner Phantasie Morde begeht, es ist für ihn so, als ob er es wirklich getan hätte. Realitätsanpassung und -bewertung sind stark beeinträchtigt. In solchen Fällen ist das Selbst auf derjenigen Entwicklungsstufe fixiert, auf welcher innen und außen, Selbst und Nicht-Selbst nicht klar unterschieden werden können. Dies ist ein dyadisches Prinzip, welches das oben dargestellte Problem ausdrückt; es gibt dabei keinen Platz für einen Dritten: beide Hälften sind im Guten und Schlechten aneinander gebunden und die Zerstörung des einen bedeutet den Tod des anderen.

 

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