Prä-ödipale
psychische Entwicklungsstufen
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Beispiele bekannter rechtsextremer Persönlichkeiten: Hitler und Himmler |
Die
Darstellung der rechtsextremen Persönlichkeiten Hitler und
Himmler zeigt das Zusammenwirken der bisher genannten
Teilfunktionen des psychischen Apparates in einer für den
rechtsextremen Gewalttäter charakteristischen Weise. 1
Ausgewähltes anamnestisches Material aus dem Leben Adolf
Hitlers und psychodynamische Überlegungen: Hitlers
Vater Alois kam unehelich zur Welt. Dessen Mutter, Frau Anna
Schicklgruber, lebte fünf Jahre mit dem Sohn allein, ehe ein
Herr Hiedler sich ihrer "annahm" und sie heiratete.
Alois Schicklgruber nannte sich nach dem Tod seines
Stiefvaters und seiner Mutter Alois Hitler ( vergl. Pilgrim,
V.O.: Muttersöhne. Düsseldorf 1986, S.25). Zeitweise
lag der Vater von Alois, der absoluten Gehorsam verlangte, mit
seinem Sohn in schwerem Streit, weil der Junge sich weigerte,
die geforderte Fügsamkeit zu zeigen. Später beklagte sich
Alois jr. bitter darüber, daß sein Vater ihn häufig
unbarmherzig mit der Nilpferdpeitsche geschlagen habe, aber im
damaligen Österreich waren schlimme körperliche Züchtigungen
von Kindern keinesfalls unüblich; Man erachtete eine solche
Behandlung als günstig für die seelische Entwicklung des
Kindes. Einmal sei der Sohn vom Vater bis zur Bewußtlosigkeit
geschlagen worden ( vergl. Miller, Alice: Am Anfang war
Erziehung. Frankfurt 1990, S. 180). Alois
Hitler, der Vater Adolf Hitlers, war ein energischer und
pflichtbewußter Mann, der eine bemerkenswerte Karriere
gemacht hat (ebd. S. 177). Über ihn wird berichtet (ebd.
S.211) : Es sieht so aus, als sei der soziale Aufstieg nicht
ohne Kosten für ihn selbst und andere möglich gewesen. Alois
war zwar gewissenhaft, pflichtbewußt und fleißig, aber auch
emotional labil, ungewöhnlich rastlos und möglicherweise
zeitweilig geistesgestört. Zumindest eine Quelle legt nahe,
daß er einmal in einem Asyl für Geisteskranke untergebracht
war. Auch hatte er nach der Meinung eines Psychoanalytikers
psychopathische Züge, die sich etwa in dem Geschick bewiesen,
mit dem er Regeln und Dokumente für seine eigenen Zwecke
auszulegen und zurechtzustutzen und dabei zugleich die Fassade
der Legitimität zu wahren vermochte. Er vereinte, kurz
gesagt, großen Ehrgeiz mit einem durchaus flexiblen Gewissen.
Als er beispielsweise später wegen der Heirat seiner dritten
Frau (die rechtlich seine Cousine war) um päpstlichen Dispens
nachsuchte, strich er die zwei kleinen mutterlosen Kinder
heraus, die er aus seiner zweiten Ehe mitbrachte und die der Fürsorge
seiner dritten Frau bedurften, unterließ es aber,
mitzuteilen, daß er mit seiner Cousine Verkehr hatte und
diese bereits von ihm schwanger war. Andernorts
wird Alois Hitler so beschrieben: "mörderisch, wie eine
Skizze seines Sohnes, verschleißt Frauen, quält so reihum
seinen menschlichen Umkreis, peinigt seelisch seine drei
Frauen" (Pilgrim 1986, S.25). Die
Mutter Adolfs, Klara Pötzl, war mit 16 Jahren in das Haus des
Onkels "Alois" gezogen, wo sie sich um dessen kranke
Ehefrau und seine beiden Kinder kümmern sollte. Ihr 48jähriger
Onkel Alois schwängerte sie noch vor dem Tod der eigenen
Ehefrau und heiratete sie im Alter von 24 Jahren. ( Erikson,
Erik: Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart 1974, S. 320).
Adolf Hitlers Mutter war 23 Jahre jünger als sein Vater und
stand als gute Ehefrau ihrer Epoche tapfer für den Mann ein,
der sie gelegentlich prügelte. Der Vater war ein Trunkenbold
und ein Tyrann ( vergl. ebd. S.322). Adolf
Hitler wurde am 20.04.1889 als viertes Kind der Klara Hitler
geboren. Diese hatte vor Adolf drei Kinder geboren, nämlich
Gustav (* 1885), Ida (*1886) und Otto (*1886). Alle waren an
Diphterie verstorben, Otto wurde nur drei Jahre alt. Als Adolf
etwa fünf Jahre alt war, wurde ein Bruder (Edmund, * 1894)
geboren, der jedoch an den Masern verstarb als Adolf 11 war.
Als Adolf etwa sieben Jahre alt war, bekam er eine Schwester
(Paula, *1896). Paula war danach das einzige Geschwister
Adolfs ( Vergl. Miller 1990 S.211). Klara
hat innerhalb von 4-5 Wochen eine Geburt (nämlich die Adolfs)
und den Tod von 3 Kindern überstanden. Die Psychoanalytikerin
Alice Miller vermutet, daß Klara durch die Geburt Adolfs
wieder der Schrecken des Todes der drei Kinder wachgerufen
wurde und daß dieses Gefühl der Angst eine direkte
Auswirkung auf die Gefühle des Säuglings Adolf hatte ( ebd.
S.214-215). Miller vermutet weiterhin, daß Klara die Wut auf
ihren ständig aggressiven Mann gegenüber Adolf abreagierte:
"Den Ärger auf ihren selbstbezogenen Mann, der sie mit
ihren seelischen Leiden alleine ließ, durfte Klara ja auch
nicht bewußt erleben; umso mehr hat ihn der Säugling, den
man ja nicht wie den Herrscher zu fürchten braucht, zu spüren
bekommen." (ebd. S.215) Möglicherweise
wandte sie sich ihm auch deshalb nicht in genügender Weise
zu, um den Jungen auf die "Härte des Lebens"
vorzubereiten. Miller
( ebd. S.182) sieht auch Anlaß zur Vermutung, daß Adolf
Hitler schon im Alter von 4 Jahren und früher von seinem
Vater geschlagen wurde. Sie beschreibt, daß eine solche Züchtigung
in den damaligen Erziehungsschriften eindringlich empfohlen
wurde. Immer wieder sei darauf hingewiesen worden, daß man
das Böse nicht früh genug austreiben könne, damit das
"Gute" ungestört wachse. Hitler
selbst hat das Milieu seiner Kindheit in "Mein
Kampf" beschrieben: "In
einer Kellerwohnung, aus zwei dumpfen Zimmern bestehend, haust
eine sechsköpfige Arbeiterfamilie. Unter den Kindern auch ein
Junge von, nehmen wir an, drei Jahren (...) Schon die Enge und
Überfüllung des Raumes führt nicht zu günstigen Verhältnissen.
Streit und Hader werden sehr häufig schon auf diese Weise
entstehen (...) Wenn (...) dieser Kampf unter den Eltern
selbst ausgefochten wird, und zwar fast jeden Tag, in Formen,
die an innerer Roheit oft wirklich nichts zu wünschen übriglassen,
dann müssen sich, wenn auch noch so langsam, endlich die
Resultate eines solchen Anschauungsunterrichtes bei den
Kleinen zeigen. Welcher Art sie sein müssen, wenn dieser
gegenseitige Zwist die Formen roher Ausschreitungen des Vaters
gegen die Mutter annimmt, zu Mißhandlungen im betrunkenen
Zustand führt, kann sich der ein solches Milieu nicht
Kennende eben nur schlecht vorstellen." - Aus heutiger
Sicht läßt sich vielleicht doch eine Ahnung davon gewinnen,
wenn man die Schrecken und die Grausamkeit, die Hitler später
über die ganze Welt verbreitete, als eine Wiederholung der
von ihm geschilderten Zustände in seiner Familie ansieht,
wenn man sich vergegenwärtigt, daß er die Welt dazu
gezwungen hat, das nachzuerleben, was er als Kind erlebt
hatte. "Mit
sechs Jahren ahnt der kleine, zu bedauernde Junge Dinge, vor
denen ein Erwachsener nur Grauen empfinden kann. Was der
kleine Kerl sonst zu Hause hört, führt auch nicht zu einer
Stärkung oder Achtung der lieben Mitwelt." "Übel
aber endet es, wenn der Mann von Anfang an seine eigenen Wege
geht und das Weib gerade den Kindern zuliebe dagegen auftritt.
Dann gibt es Streit und Hader und in dem Maße, in dem der
Mann der Frau nun fremder wird, kommt er dem Alkohol näher.
Kommt er endlich Sonntag oder Montag nachts selber nach Hause,
betrunken und brutal, immer aber befreit vom letzten Heller
und Pfennig, dann spielen sich oft Szenen ab, daß Gott
erbarm. In Hunderten von Beispielen habe ich dies alles erlebt
(...)" ( ebd. S.190) Auch
späterhin schlug Alois seinen Sohn häufig: Paula
Hitler, die Schwester Adolfs, berichtet, "es war vor
allem Bruder Adolf, der meinen Vater zu extremer Härte
provozierte und jeden Tag sein gehöriges Maß an Prügel
bekam. Er war ein etwas unflätiger kleiner Lausbub und alle
Versuche seines Vaters, ihm die Frechheit auszuprügeln und
ihn dazu zu bringen, den Beruf eines Staatsbeamten zu wählen,
waren vergeblich." ( ebd. S.181) Was
die Beweggründe Alois' für solch grausames Verhalten
betrifft, so vermutet Miller, daß Alois Hitler als Objekt der
Aggression zwar seinen Sohn auswählte, möglicherweise aber
sich selbst meinte (ebd. S.186). Zugleich vermutet sie, daß
Alois in dem ehelich geborenen Adolf einen Konkurrenten sah,
der im Gegensatz zu ihm selbst eine Mutter und einen Vater
hatte und nicht wie er von der Mutter aus Armut weggegeben
wurde und keinen richtigen Vater hatte. Hitler
sagte ( Erikson 1974, S.324) , daß weder sein Vater, noch
sonst eine Macht auf Erden aus ihm einen Beamten hätten
machen können. Denn obwohl der Vater mit 13 Jahren von
zuhause fortgelaufen war, um etwas "Höheres" zu
werden, war er doch nach 23 Jahren zurückgekehrt, und ein
kleiner Beamter geworden. Die
frühen Erfahrungen der Deprivation ("seelische
Verwahrlosung") und die gleichzeitige Traumatisierung
durch das brutale Verhalten des Vaters hatten Auswirkungen auf
den allgemeinen psychischen Zustand Hitlers, die für
Patienten mit gleichartiger Geschichte und Intelligenz nicht
unbekannt sind: Beobachter stellten an Hitler Zustände fest,
die an Verfolgungswahnsinn und Persönlichkeitsspaltung
grenzten, er sei von Schlaflosigkeit geplagt worden, sei des
Nachts ruhelos umhergewandert und habe sich junge Leute kommen
lassen, die "die Stunden eines offenbaren Grauens"
mit ihm teilen sollten. "Zu
Zeiten müssen diese Zustände einen besonders bösartigen
Charakter angenommen haben. Mir hat jemand aus seiner engsten
täglichen Umgebung berichtet: er wache des Nachts mit
Schreikrämpfen auf. Er schreie um Hilfe. Auf seiner Bettkante
sitzend könne er sich nicht rühren. Die Furcht schüttle
ihn, so daß das ganze Bett vibriere. Er stoße verworrene, völlig
unverständliche Worte hervor. Er keuche, als glaube er,
ersticken zu müssen. Der Mann erzählte mir eine Szene, die
ich nicht glauben würde, wenn sie nicht aus solcher Quelle käme.
Taumelnd habe er im Zimmer gestanden, irr um sich blickend.
"Er, Er, Er ist dagewesen", habe er gekeucht. Die
Lippen seien blau gewesen. Der Schweiß habe nur so an ihm
heruntergetropft. Plötzlich habe er Zahlen vor sich
hergesagt. Ganz sinnlos. Einzelne Worte und Satzbrocken. Es
habe schauerlich geklungen. Merkwürdig zusammengesetzte
Wortbildungen habe er gebraucht, ganz fremdartig. Dann habe er
wieder ganz still gestanden und die Lippen bewegt. Man habe
ihn abgerieben, ihm etwas zu trinken eingeflößt. Dann habe
er plötzlich losgebrüllt: "Da, da! in der Ecke! Wer
steht da? "Er habe aufgestampft, geschrieen, wie man das
an ihm gewohnt sei. Man habe ihm gesagt, daß da nichts Ungewöhnliches
sei und dann habe er sich allmählich beruhigt. Viele Stunden
hätte er danach geschlafen. Und dann sei es für eine Zeit
wieder erträglich mit ihm gewesen." ( Rauschning,
Herrmann: Gespräche mit Hitler. Wien 1973, S. 273) Der
primäre Bindungsmangel Hitlers äußert sich desweiteren
in der mangelhaften Fähigkeit, Beziehungen ufzubauen oder
aufrechtzuerhalten: So
band sich Hitler nicht in Liebesbeziehungen. Mehrere Frauen,
die mit ihm in nahe Berührung kamen, starben, brachten sich
um oder wurden getötet. Hingegen behauptete Dr. Bloch, der
Arzt, der Hitlers Mutter erfolglos vom Brustkrebs zu heilen
versuchte, daß er in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit keinen
jungen Mann am Grabe der Mutter so außer sich gesehen hätte
wie den achtzehnjährigen Hitler ( Pilgrim 1986, S.28). Seine
eigene Frau, Eva Braun, tötete er eigenhändig kurz nachdem
er sie geheiratet hatte und kurz bevor er sich selbst tötete. Der
Bindungsmangel äußerte sich auch in den Problemen, sich
durch einen Beruf gesellschaftlich zu integrieren: Wie
bereits erwähnt wehrte sich Hitler erbittert dagegen, Beamter
zu werden wie sein Vater. Die mißlungene Identifikation mit
dem Vater äußert sich weniger darin, daß er den Beruf
ablehnt, sondern darin, daß Hitler mit solcher Vehemenz diese
Ähnlichkeit mit seinem Vater so weit von sich wegschob. Er
sah in dem Vater (mit Recht) einen Schwächling, der nicht zur
Identifikation taugte. Adolf
haßte seinen Vater, hassen heißt ablehnen, den Vater
ablehnen heißt: nichts von ihm hereinnehmen, nicht werden wie
er. Hingegen versuchte Hitler, auf künstlerische Weise seine
narzißtisch-symbiotischen Bedürfnisse zu befriedigen. Jedoch
wurde ihm auch hierdurch nicht das Ausmaß an Beachtung
zuteil, das er gebraucht hätte, um den früh erlittenen narzißtischen
Mangel zu ertragen. "Also wurde der Sohn Schwamm,
nichtstuerisch, überspannt anmaßend, schwärmte von sich als
Künstler, aber auch der geriet ihm nicht zur durchdringenden
Tat. Die Wiener Kunstakademieväter wiesen ihn ab" ( ebd.
S.25). Psychodynamische
Überlegungen Aus
der Lebensgeschichte Hitlers ersieht man bereits wesentliche
Komponenten der familiären Konstellation, einen
rechtsextremen Gewalttäter hervorbringen konnte: frühe
Deprivation mit dem Mangel an Befriedigung primärer narzißtischer
Bedürfnisse, starkes Festhalten am Objekt der primären
Lusterfüllung (Mutter) und Aufrechterhaltung der
Spaltungsmechanismen. Der Widerstand des kleinen Hitler gegen
die Gewalt des Vaters ist weniger als Rebellion denn als
verzweifeltes Festhalten an der Mutter zu sehen, die ihm als
einzig noch irgendwie Gutes verblieben war. Um nichts in der
Welt hätte er sich dem Vater zugewandt. Es
kam so erstens zum Mangel an Befriedigung narzißtischer Bedürfnisse
und außerdem zum Mangel der Identifikation mit dem Vater. Der
Versuch nach vornehmlicher Kompensation narzißtisch-symbiotischer
Bedürfnisse in der künstlerischen Betätigung scheiterte. Was
die Erklärung der späteren vernichtenden Politik Hitlers
anbetrifft, so geht Alice Miller davon aus, daß Adolf sich
unbewußt mit seinem Vater identifizierte und dessen Verhalten
übernahm "und in der Weltgeschichte aktiv spielte"
( Miller 1990, S.189). Wirksam für Hitlers Verhalten war
Millers Ansicht nach ein Wiederholungszwang, der ihn dazu
brachte, Juden und auch insgesamt das deutsche Volk in
derselben Weise zu behandeln wie er selbst von seinem Vater
behandelt worden war. Ich
bin mit Miller der Ansicht, daß es sich bei dem ausagierten
Haß Hitlers um einen allgemeinen Haß handelte, der alle
Menschen betraf und der später im Leben effektiv realisiert
wurde, wenn man beachtet, daß nur ein Weltkrieg effektiv
genug ist, um alle nur irgendwie erreichbaren Formen
menschlichen Lebens auf der Welt zu schädigen. Ich bin jedoch
entgegen der Ansicht Millers der Meinung, daß es nur
scheinbar zur Identifikation mit dem Vater kam. Denn die Ähnlichkeit
im letztlich menschenfeindlichen Verhalten Adolfs mit dem des
Alois ist m.E. nicht, wie Miller behauptet, auf die
Identifikation, sondern auf die Wiederholung einer
Borderline-erziehung zurückzuführen. Wenn Vater und Sohn
einander ähnlich sind, kann dies aus der Identifikation des
Sohnes mit dem Vater herrühren, kann aber auch schlicht daran
liegen, daß beide eine ähnliche Entwicklung unter ähnlichen
Umständen in ihrer Kindheit durchmachten, die eben zum selben
Ergebnis führte. Ein Wiederholungszwang, wie er von Miller für
das Verhalten Hitlers gegenüber den Menschen angesehen wird,
wäre dann zwar wirksam, jedoch lediglich in dem Sinne, als
Adolf genauso wie Alois emotional auf sehr frühem Niveau
stehengeblieben ist und sie in ihrem Verhalten in der
Erwartung fortfuhren, man werde ihnen endlich Beachtung
schenken, sie lieben und mit ihnen eine Symbiose herstellen. Wäre
es tatsächlich zu einer Identifikation Hitlers mit seinem
Vater gekommen, so hätte Hitler auch über ein Gewissen verfügt.
An der Gewissenlosigkeit Hitlers gibt es aber keinen Zweifel. Ich
bin auch nicht wie Miller der Ansicht, Hitler hätte sich
"mit dem Aggressor identifiziert" (d.h. der
Unterlegene übernimmt aus Angst die Meinung, das Verhalten
und die Einstellung des Aggressors), dies nämlich wäre im
Rahmen der ödipalen Geschlechtsidentifikation vollkommen
normal und hätte eben zur Gewissensbildung geführt. Der
Analytiker Erik Erikson schildert aus seiner Kenntnis der
historischen Umstände ebenfalls die familiäre Situation
jener Zeit, die allerdings weniger extrem als bei Hitler ausfällt,
jedoch verschiedene Gemeinsamkeiten zu der Hitlers zeigt. In
"Kindheit und Gesellschaft" beschreibt er das, was
er für eines der inneren Grundbilder des deutschen Vaters
jener Zeit hält: "Wenn
der Vater nach hause kommt, scheinen sich selbst die Wände
'zusammen zu nehmen'. Die Mutter, obwohl sie häufig der
inoffizielle Herr im Hause ist, benimmt sich jetzt so anders,
daß selbst ein kleines Kind es fühlen muß. Sie beeilt sich,
die Wünsche und Launen des Vaters zu erfüllen und vermeidet
alles, was ihn ärgern könnte. Die Kinder halten den Atem an,
denn der Vater duldet keinen "Unsinn" - d.h. nichts
von den weiblichen Stimmungen der Mutter, von der
spielerischen Art der Kinder. Solange er zuhause ist, hat die
Mutter zu seiner Verfügung zu stehen. Sein Verhalten drückt
aus, daß er die Einheit von Mutter und Kindern mißbilligt,
die sie während seiner Abwesenheit genossen haben. Oft
spricht er zur Mutter, wie er zu den Kindern spricht, d.h. er
erwartet Gehorsam und schneidet jede Antwort ab." In
dieser Atmosphäre erlebt das Kind einen völligen Bruch: die
Mutter, die ihm bis dahin mehr oder weniger zur Verfügung
stand, kommt ihm nun völlig abhanden, ja es bekommt das Gefühl,
daß der Vater eine innige Bindung an die Mutter sogar mißbilligt
und daß alles, was das Kind sich von seiner Mutter erwünscht,
daß ihre Liebe und Bewunderung, die sie dem Kind gibt und die
so wichtig sind für das Streben nach einer liebevollen
Beziehung zu anderen Menschen im späteren Leben, daß dies
alles hinter dem Rücken oder gar gegen den Willen des Vaters
stattfinden muß. Darüber hinaus kommt es zu Situationen, in
denen sich das Kind auch von der Mutter verraten und verlassen
vorkommt: "Die
Mutter fördert diese Gefühle, indem sie manchen Unsinn,
manche Ungezogenheit des Kindes vor dem Vater verbirgt, wenn
und wann es ihr beliebt. Ihre Mißbilligung hingegen drückt
sie dadurch aus, daß sie die Kinder an den Vater verrät,
wenn dieser nach hause kommt, und oft den Vater veranlaßt,
periodische körperliche Züchtigungen für Taten durchzuführen,
deren Einzelheiten ihn nicht interessieren. Söhne sind
ungezogen und eine Strafe ist immer gerechtfertigt. Später,
wenn der Sohn Gelegenheit findet, den Vater in Gesellschaft zu
beobachten, wenn er dessen Unterwürfigkeit gegenüber
Vorgesetzten, seine übermäßige Sentimentalität beim
Trinken und Singen mit Gleichgestellten entdeckt, entwickelt
der Junge die ersten Züge des "Weltschmerzes":
einen tiefen Zweifel an der Würde des Menschen - oder auf
alle Fälle an der des "Alten". All das besteht natürlich
bei gleichzeitigem Respekt und Liebe für den Vater. Während
der Stürme der Reifezeit aber, wenn die Identität des Knaben
sich mit dem Bild des Vaters auseinandersetzen muß, führt es
zu der kritischen deutschen Pubertät, die in ihren
schwierigen Formen ein so sonderbares Gemisch aus offener
Auflehnung und "geheimer Sünde", aus zynischer
Entscheidung zum Bösen und unterwürfigem Gehorsam, aus
Romantik und hoffnungsloser Verzweiflung ist und die den Mut
und den Unternehmungsgeist des Jungen ein für allemal brechen
kann." ( Erikson 1974, S.325ff) Nach
Erikson (a.a.O) fehlte deutschen Vätern stets die
Identifikation mit irgendwelchen Idealen (wie etwa der
Revolution in Frankreich oder der parlamentarischen Demokratie
in England (Anm. JSB), so daß die äußerlich vorgetragene
Autorität stets ohne Kern und ohne inneres Ziel blieb. Ein
solches Ziel aber hätte die Autorität in das liebevolle
Kleid des Ideals gehüllt. 2
Ausgewähltes anamnestisches Material aus dem Leben Heinrich
Himmlers und psychodynamische Überlegungen: Heinrich
Himmler wurde am 07.10.1900 geboren. Himmlers Vater war ein
"äußerst pedantischer Mann, ein Gymnasialprofessor und
späterer Direktor, dessen Hauptstärke seine Ordnungsliebe
gewesen zu sein scheint. Er war ein konservativer, im Grunde
schwacher Mensch, ein altmodischer, autoritärer Vater und
Lehrer (...). (Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen
Destruktivität. Stuttgart 1974, S. 274/275) Himmler soll vor
seinem Vater keine übertriebene Angst gehabt haben, sei ihm
gegenüber aber äußerst gehorsam gewesen. Himmler
war körperlich kein sehr kräftiges Kind und seit seinem
vierten Lebensjahr war er immer wieder krank. Damals zog er
sich eine ernste Erkrankung der Atmungsorgane zu, die sich
offenbar in der Lunge festsetzte und an der damals viele
Kinder starben. Die Familie, besonders die Mutter sei außer
sich vor Sorge gewesen. Der Geburtsarzt wurde von München
nach Passau geholt. Die Mutter zog mit dem Knaben in einen Ort
mit besserem Klima. Im Jahr 1904 zog die ganze Familie mit Rücksicht
auf das Wohl des Kindes wieder zurück nach München. Der
Vater Himmlers war offenbar mit all diesen kostspieligen und
unbequemen Maßnahmen einverstanden. Im
Alter von etwa 15 Jahren begann Himmler an Magenbeschwerden zu
leiden, die ihn für den Rest seines Lebens plagen sollten. Es
ist anzunehmen, daß hier ein starker psychogener Faktor im
Spiel war. Während ihm einerseits dieses Magenleiden als
Symptom seiner Schwäche unangenehm war, gab es ihm
andererseits die Möglichkeit, sich ständig mit sich selbst
zu beschäftigen und sich mit Menschen zu umgeben, die sich
seine Klagen anhörten und viel Aufhebens um ihn machten.
Himmler habe auch unter einem angeblichen Herzfehler gelitten,
den er sich 1919 bei der Arbeit auf einem Gutshof zugezogen
habe. Man nimmt aber heute an, daß diese Diagnose nicht
zutreffend war und daß Himmler sich vermutlich einer recht
guten Gesundheit erfreute. Himmler war es dadurch jedoch möglich,
sich weiterhin seinen hypochondrischen Neigungen hinzugeben. Aber
Himmlers körperliche Schwäche bezog sich nicht nur auf
Lunge, Magen und Herz. Er sah weichlich und schlapp aus und
war körperlich unbeholfen und ungeschickt. Als er z.B. ein
Fahrrad bekam und seinen Bruder Gebhard auf dessen Radtouren
begleitete, "fiel Heinrich immer wieder vom Rad, zerriß
sich die Kleider und es passierte ihm auch sonst alles mögliche"
( Smith,
B.F.: Heinrich Himmler, a Nazi in the Making 1900-1926.
Stanford University 1971). Himmler
war wohl ein Musterschüler, bei allen Lehrern beliebt und in
den wesentlichen Fächern mit den besten Leistungen, im Turnen
allerdings soll er sehr schlecht gewesen sein, was Himmler
sehr gedemütigt habe. ( Hallgarten, G.W.F.: Imperialismus vor
1914. München 1963) Die
Bindung zu seiner Mutter schien auch noch in der Pubertät
stark zu sein. Im ersten Monat seiner militärischen
Ausbildung schrieb Himmler dreiundzwanzig Briefe nach Hause.
Und obwohl er zehn oder zwölf als Antwort erhielt, beklagte
er sich ständig, daß die Familie ihm nicht oft genug
schreibe. "Der erste Satz seines Briefes vom 24. Januar
ist typisch: "Liebe Mutti, vielen Dank für Deinen lieben
Brief. Endlich habe ich Post von Dir bekommen." Nachdem
er zwei Tage später wieder Nachricht von zu Hause bekommen
hatte, fängt er die alte Leier wieder an und fügt hinzu:
"Ich habe schrecklich lange darauf gewartet." Und
zwei Briefe in drei Tagen hindern ihn nicht, am 29. wieder zu
lamentieren: "Heute habe ich wieder nichts von Dir
bekommen." (
Smith, B.F. 1971) Auch
mit 19 Jahren war der Kontakt zum Elternhaus, speziell zur
Mutter noch immer sehr stark. Innerhalb von 3 1/2 Wochen
seines Landwirtschaftspraktikums schrieb er mindestens 8
Briefe und Postkarten nach Hause und vermerkte zugleich oft,
er habe zu viel zu tun, um schreiben zu können. Am
Vorliegen einer zwangsneurotischen Symptomatik vor einem
tieferen psychopathologischen Hintergrund kann bei Himmler
kein Zweifel bestehen: Zwischen dem 14. und 24. Lebensjahr führte
Himmler auf Anraten seines Vaters ein Tagebuch, in dem fast täglich
belanglose Eintragungen erschienen: Himmler verzeichnete, wie
lange er geschlafen habe, wann er zum Essen gegangen sei, ob
er Tee getrunken habe oder geraucht habe, wen er tagsüber
getroffen und wie lange er studiert habe. In welche Kirche er
gegangen und wann er abends nach Hause gekommen sei. Weiterhin
schrieb er nieder, wem er einen Besuch abgestattet habe und ob
seine Gastgeber nett zu ihm gewesen seien, um wieviel Uhr er
mit dem Zug zu seinen Eltern gefahren und ob der Zug verspätet
oder rechtzeitig gekommen sei. Seit
dem 15 Lebensjahr (Pubertät!) führte Himmler eine
Korrespondenzliste, in der er jeden Briefeingang und -ausgang
vermerkte. Auf jedem der Briefe und Postkarten seiner engen
Freunde vermerkte er nicht nur das Empfangsdatum, sondern auch
die Uhrzeit auf Stunde und Minute genau, zu der die Post in
seine Hände gelangte. Als Himmler schließlich Reichsführer-SS
war, legte er sich eine Kartothek an, in der er jedes Geschenk
vermerkte, das er irgend jemandem gegeben hatte. ( Fromm 1974,
S. 273) Auswirkungen
der Lebensgeschichte auf das Beziehungssleben Himmlers: Aufgrund
seiner persönlichen Geschichte hatte Himmler offenbar (und
verständlicherweise) sexuelle Probleme. So stellte er im
Alter von 20 Jahren Spekulationen über die Moral der jungen Mädchen
an, mit denen er bekannt wurde und stürzte sich auf erotische
Bücher, wo immer er ihrer habhaft werden konnte. Als er 1924
alte Freunde besuchte, fand er in deren Bibliothek C.F.
Schlichtegrolls "Ein Sadist im Priesterrock", ein
Buch, das 1904 in Deutschland verboten worden war; er
verschlang es in einem Tag. Im allgemeinen bot Himmler das
Bild eines gehemmten und ängstlichen jungen Mannes, der
darunter litt, daß er es nicht fertigbrachte, mit Frauen
Beziehungen anzuknüpfen. Auch
im Alter von etwa 20 Jahren konnte er in Beziehungen zu Mädchen
seine vorsichtige, steife Haltung nie überwinden und "er
legte eine so große Distanz zwischen sich und das andere
Geschlecht, daß kaum Gefahr bestand, daß seine Keuschheit in
Gefahr geriet." ( ebd. S. 283) Auswirkungen
der Lebensgeschichte auf den beruflichen Werdegang: Himmler
strebte ab 1916 danach, die Schule zu verlassen, um eine
Ausbildung als Berufsoffizier machen zu können. Vielleicht
war er aber dabei auf die Aufmerksamkeit seiner Mutter
erpicht, die sich sehr um Himmlers Bruder Gebhard sorgte, der
zur selben Zeit an der Front Dienst tat. Erst nach langen Bemühungen
des Vaters fand er Aufnahme in ein Regiment, in dem er eine
Ausbildung zum Offizier beginnen konnte. Das Jahr 1918
verbrachte er so in der Ausbildung. Direkt nach dem Krieg sah
er sich dazu genötigt, eine Berufsausbildung zu beginnen,
weil er es nicht zum Berufsoffizier hatte bringen können. Er
entschied sich dann für ein Landwirtschaftsstudium und lernte
russisch, weil er in Ostgebieten Landwirt werden wollte.
Nachdem er feststellte, daß es keine Möglichkeit gab, in Rußland
als Landwirt tätig zu werden, fing er an, spanisch zu lernen,
mit dem Gedanken, sich in Südamerika als Landwirt
niederzulassen. Zu anderen Zeiten zog er Länder wie Peru, die
Türkei oder Georgien (UDSSR) in Betracht. Jedoch besaß er
nicht das Geld und auch nicht die Phantasie, Initiative und
Ausdauer, die er gebraucht hätte, um auch nur in Deutschland
Landwirt zu werden. In
dieser hoffnungslosen Situation als Student in München trat
er einer Burschenschaft bei, von der er jedoch auch keine
innige Aufnahme erfuhr. Er nahm Kontakt zu Ernst Röhm auf,
nahm jedoch noch nicht an der Hitlerbewegung teil. Trotz
seiner Hinwendung zur Politik und trotz der Sorge, die er sich
um sich selbst und seine Zukunft machte, behielt er doch viele
seiner Gewohnheiten und seine alte Lebensweise bei. Er ging
weiter in die Kirche, machte Besuche, tanzte in den
Studentenverbindungen und schickte seine schmutzige Wäsche
nach Ingoldstadt zu seiner Mutter. Schließlich nahm er die
Stelle eines technischen Assistenten in einer Kunstdüngerfabrik
an, die ihm vom Bruder eines seiner Professoren angeboten
wurde. Zufälligerweise war am selben Ort eine paramilitärische
Einheit der NSDAP organisiert, der Himmler dann beitrat. Ohne
den weiteren Werdegang zu beschreiben, wird bereits deutlich,
daß Himmler offenbar gestrandet war und in seiner Adoleszenz
an Orientierungslosigkeit litt. Es mangelte ihm an frühen
Autonomieerfahrungen, die ihm die Überzeugung des Nutzens der
eigenen Aktivität vermittelt hätten. Sein dauerndes Bedürfnis,
aus der Umklammerung der Mutter zu entkommen, äußerte sich
in dem Wunsch weit wegzuziehen. Der Mangel an Möglichkeiten
zur väterlichen Identifikation hatte jedoch zur Folge, daß
ihm die Vorstellung davon fehlte, wohin er von der Mutter hätte
gehen können. Eine Art mütterliche Heimat im Gewande der Väterlichkeit
bei gleichzeitigem Angebot, Beachtung zu finden und endlich
Aggression ausleben zu können (was er bislang nie getan
hatte) bot sich durch den Beitritt zur Partei. Die
junge Nazibewegung war zu jener Zeit stark in ihrer Kritik,
die sich nicht nur gegen die Linke, sondern auch gegen das bürgerliche
System richtete, dem Himmlers Vater angehörte. Diese jungen
Leute spielten die Rolle von Helden, denen die Zukunft gehörte.
Und Himmler fand ein geeigneteres Bild, dem er sich
unterwerfen konnte, als den Vater. Zugleich konnte er dadurch
mit einer gewissen Herablassung, wenn nicht versteckter
Verachtung auf seinen Vater herabblicken. Psychodynamische
Überlegungen Aus
den Schilderungen der Biographen und den Beschreibungen Fromms
ergibt sich nach meiner Auffassung folgendes: Himmler
wurde als Sohn eines eher schwachen Vaters und einer nach der
Bindung zum Sohn verlangenden Mutter geboren. Die
Mutter baute eine sehr enge, ihn fangende (captative) Bindung
zum Sohn auf, die auch in späterer Zeit beibehalten blieb. Es
darf vermutet werden, daß die Mutter den eigenen Sohn weniger
selbst emotional versorgen wollte, als daß es ihr darum ging,
von dem Sohn gefühlsmäßig versorgt zu werden. Der Sohn
erfuhr niemals eine "Entwöhnung", ein
"Abstillen" denn er stellte auch später außergewöhnliche
Ansprüche an die Fürsorge durch die Mutter. Der kleine
Himmler konnte unter diesen Umständen auch kaum die Selbständigkeit
fördernden Autonomieerfahrungen machen. Der Vater war für
den Jungen nicht verfügbar und es kam nicht dazu, daß der
Junge irgendwann vom Vater erfahren hätte, daß die Mutter
nicht nur dem Sohn zur Verfügung steht. Da aber gerade die
Erfahrung, daß die Mutter gewissermaßen dem Vater und nicht
dem Knaben gehört, notwendig zur Geschlechtsidentifikation
und zur Gewissensbildung ist, kam es hier zu einem weiteren
Mangel in Himmlers Entwicklung. Daß
Himmler niemals, was die Aufnahme von Beziehungen betrifft,
der oral-gierigen Passivität entwachsen ist, erkennt man an
den Schwierigkeiten des Adoleszenten, Beziehungen zu Frauen
aufzunehmen. Der
Mangel an Autonomieerfahrungen wirkt sich jedoch nicht nur auf
das Beziehungsleben, sondern auch auf den beruflichen
Werdegang aus. Sofern das kleine Kind nicht die Erfahrung
macht, daß es auch auf den eigenen Beinen stehen kann, daß
es nach den Bonbons auf dem Tisch greifen oder alleine
beispielsweise den Garten erforschen kann, fehlt ihm späterhin
das Empfinden und die Überzeugung dafür, daß es alleine
etwas unternehmen und durch eigene Kraft etwas werden könnte.
Das Autonomiestreben des Kindes erhält durch die
Identifikation mit dem Vater ihre Prägung. Himmler
entbehrte aber solcher Erfahrungen. Er war unfähig, seinem
eigenen Leben eine Richtung zu geben. Himmler
traf mit seinem Eintritt in die NSDAP die Entscheidung zur Rückkehr
in die mütterliche Geborgenheit einer Gruppe. So gelang es
ihm, dem Verlust der mütterlichen Geborgenheit zu entgehen.
Desweiteren war er in der von Männern geleiteten Gruppe mit
den rächenden aggressiven Idealen Hitlers versorgt und ständig
in der Position desjenigen, der den Gefühlen fernsteht und
somit eher männlich ist. Himmler
unterwarf sich nicht deshalb der Autorität, weil sie ihm so
große Angst eingejagt hätte, sondern weil er solche Angst
hatte - nicht vor der Autorität, sondern vor dem Leben -, daß
er nach einer Autorität suchte und geradezu das Bedürfnis
hatte, sich zu unterwerfen. Wegen
der grundlegenden Zweifel an der eigenen autonomen Existenzfähigkeit
und der Suche nach Abhängigkeit hatte Autorität zunächst
einen mütterlichen Charakter für ihn. Erich
Fromm interpretiert, ( ebd. S. 275) daß die Unterwürfigkeit
Himmlers sozusagen einen opportunistischen Zug hatte. Seinen
Vater, seine Lehrer und später seine Vorgesetzten in Armee
und Partei nutze er, um Karriere zu machen und seine
Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen. Er führte ein
Tagebuch, genauso, wie es ihm sein Vater nahegelegt hatte. Daß
er von seinem Vater zu Strasser und Hitler und vom Christentum
zum arischen Heidentum überwechselte, spielte sich nicht als
Rebellion ab. Alles vollzog sich vorsichtig und reibungslos.
Er unternahm keinen neuen Schritt, bevor er es ohne Risiko tun
konnte. Und als ihm schließlich sein Idol Hitler nichts mehr
nutzen konnte, versuchte er, ihn zu verraten, indem er unter
den neuen Herren, den Alliierten, den Erzfeinden von gestern
und Siegern von heute, zu arbeiten versuchte. Hitler war ein
Rebell, Himmler ging das Element der Rebellion völlig ab.
Himmler brauchte eine starke, mächtige Führerfigur, um die
eigene Schwäche zu kompensieren. Er war eindeutig ebenso
gewissenlos wie Hitler und er war ständig (um jeden Preis)
auf der Suche nach einem bergenden Heim oder einer
Gemeinschaft und einem stets gefüllten Futtertrog. Er war
nicht auf der Suche nach Gelegenheiten, selbst etwas
aufzubauen, zu schaffen o.ä.. Die
Furcht vor dem Anknüpfen von Beziehungen im Verein mit der
Zwanghaftigkeit fand seinen Gipfel in der Vorstellung von
Reinheit und Kontrolle in der Gründung des Vereins
"Lebensborn", in welchem sich die sexuelle
Beziehungslosigkeit und das Ideal der Sauberkeit
(Reinrassigkeit) vereinen sollten. Wie
Himmler seine schauerliche Arbeit verrichten konnte, kann man
nur verstehen, wenn man sich bewußt macht, daß er die
Aggressivität nie selbst direkt ausübte und daß ihm das
wesentliche die Befriedigung des primären Bedürfnisses nach
Geborgenheit und Sicherheit war. Um dieses Ziel zu erreichen,
war ihm offenbar alles recht. Wie Himmler auf den Kontakt
zwischen eigener Pflichterfüllung um den Preis der
Unterwerfung und den Auswirkungen seines Handelns reagierte,
veranschaulicht folgendes Zitat: Himmler wohnte im Spätsommer
1941 einer Massenerschießung in Minsk bei und dieses Erlebnis
hat ihn ziemlich erschüttert. Aber er sagte: "Ich halte
es trotz allem für richtig, daß wir uns das angesehen haben.
Wer über Leben und Tod zu entscheiden hat, muß wissen, wie
das Sterben aussieht. Und was er den Erschießungskommandos
zumutet!" ( ebd. S.289) Vielen seiner SS-Leute wurde bei
diesen Massenerschießungen schlecht; einige begingen
Selbstmord, wurden wahnsinnig oder erlitten schwere seelische
Schäden. 3
Zusammenfassung: Die
Zusammenschau dieser beiden anamnestischen Beschreibungen und
deren Analyse zeigen
zum einen den Unterschied zwischen dem "Führer" und
einem "Geführten" auf und verweisen zum anderen auf
einige wichtige Gemeinsamkeiten. Es
ist offensichtlich, daß beide beschriebenen Personen nicht in
einer funktionsfähigen Familie mit liebevollen Eltern
aufwuchsen. Beide wuchsen in der Obhut einer (was den
Lebensablauf und nicht die physische Gewalt betrifft)
letztlich dominanten, lenkenden, jedoch wenig zur Fürsorge fähigen
(oder dazu nicht gewillten) Mutter auf. Die Väter traten
nicht in einer tatsächlich dominierenden Form in Erscheinung. Es
sei hier auch darauf hingewiesen, daß auch Goebbels in seinen
Tagebüchern nur liebevoll von seiner Mutter, dagegen haßerfüllt
von seinem Vater, dem ihm lästigen Ernährer spricht. Die
Söhne erfuhren keine orientierende Lenkung durch männliche
Bezugspersonen. Daß die Ausübung von Gewalt auf ein Kind
nicht als Lenkung verstanden werden darf, wird aus der
Lebensgeschichte Hitlers deutlich. (Auch
Görings Vater, ein ältlicher, ausrangierter Diplomat, war
ungeeignet für die Identifikation des Jungen gewesen. Der
Sohn rundete sich, wurde fett, aufgeplustert wie seine Mutter,
die so dick war, daß Kinder zwischen ihren Beinen Versteck
spielen konnten. Der kleine Hermann wollte von früh an Soldat
werden. Aber das Handwerk des Zeugens hatte er nicht gelernt.
Seine Frau Emmi Sonnemann mußte künstlich befruchtet werden,
ein Kind von seinem ihm ärztlich abgenommenen Samen empfangen
(< Pilgrim 1986, S. 35ff).) Frühe
Deprivation in der Mutter-Kind-Beziehung wirkt sich als
treibende Kraft für die später "spaltende"
Denkweise (das Verteufeln von etwas und gleichzeitiges
Idealisieren von etwas) aus, das Sehnen nach Symbiose (der
Vorstellung eines "Weltreiches" einer
"Volksgemeinschaft") und den Haß gegenüber den als
andersdenkend empfundenen, denjenigen, die sich der Kontrolle
des eigenen Willens nicht unterwerfen, die sich der
Zwangssymbiose entziehen wollen. Gleichzeitig
besteht der Mangel an einer Vaterpersönlichkeit, die der Äußerung
des puren Hasses mit Autorität gegenübertritt und im
Empfinden des Kindes das Bewußtsein schafft, einen anderen
Weg zum Ausleben der Aggressivität finden zu müssen als den
der manifesten Aggression. Es ist ebenso entscheidend, daß
der Vater auch in der späteren Lebensgeschichte des
rechtsextremen Gewalttäters nicht in Erscheinung tritt, dann
nämlich, wenn es um die Besitzansprüche gegenüber der
Mutter geht. Hierdurch ist auch die zweite Chance, dem Kinde
beizubringen, daß fordernde Aggression nicht unbegrenzt
ausgelebt werden kann, sondern auf irgendeine Weise sublimiert
werden muß, dahin. Das Kind hat nun gegenüber Mutterpersonen
(und andere kennt er nicht) einen steten und unerschöpflichen
Anspruch der absoluten Ergebenheit. |
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