In einem Forschungsprojekt, das seit
1990 am Psychologischen Institut der Universitaet
Erlangen-Nuernberg durchgefuehrt wird, wurde untersucht,
wie Zeitzeugen des
Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs mit
dem erschuetternden
Schicksalandererumgehen: ausser Selbstmitleid und
Selbstgerechtigkeit verlor von den 80
untersuchten Buergern aus Koeln, Wuerzburg, Dresden,
Nuernberg und Wien kein einziger
ein Wort "ueber das unfreie und wuerdelose Leben
der Gefangenen und der
Zwangsarbeiter oder ueber die Not in den Lagern.
An keiner Stelle versuchen Zeitzeugen
dieser Art, sich in die Situation der damaligen
Mitmenschen zu versetzen, die fuer sie bis
heute Fremde geblieben sind. Sie werden vollstaendig
und distanziert aus dem eigenen
Denken und Fuehlen ausgeschlossen, wie schon damals.
So entsteht das Bild einer
vergangenen Wirklichkeit, die fuer Rechtens gehalten
wird." (Heidel, Uschi: Das Leid der
Opfer wird systematisch verdraengt. In: FR Nr.295
vom 19.12.92 S.D/R/S)
Aus eigenem Erleben einiger Tausende meiner psychotherapeutischen
Patienten weiss
ich, dass es darunter keinen einzigen gegeben hat,
der wegen des Holocausts Trauer
empfunden haette. Wenn der zweite Weltkrieg ueberhaupt
ein Thema der Gespraeche war,
dann hoerte ich hoechstens, dass "die Probleme mit
der Vertreibung der Deutschen
angefangen haben", also nicht 1933 oder 1939, sondern
1945 oder einige Jahre zuvor, je
nachdem aus welchem Gebiet der Patient fliehen muste.
"Es waren in der Regel dieselben, die durch die Hoelle
des Krieges und oft noch durch
sowjetische Kriegsgefangenschaft gehen mussten und
dann unser Land durch ihre
Friedensleistung oekonomisch und sozial an die Spitze
der Weltrangliste gefuehrt haben",
sagte Alfred Dregger in seiner Rede anlaesslich
der Verleihung des
Bundesverdienstkreuzes an seinen Fahrer. Es waren
dieselben. Dieselben, die in einer Art
von selbstbestimmtem Ablasshandel mit Geldzahlungen
an einen Teil ihrer Opfer als
Gegenleistung lautstark Verzeihung einklagten, als
ob Vergebung kaeuflich waere.
Verzeihung, Vergebung und Reue sind jedoch voellig
frei und bedingen sich gegenseitig
nicht. Der Mensch kann verzeihen, ohne dass der
Taeter bereut, der Taeter kann bereuen,
ohne dass das Opfer vergibt. Lediglich die Suehne
enthaelt als Hilfe fuer den Taeter das
Moment der Strafe. Die meisten Deutschen bereuten
nichts, denn sie verstanden nicht
einmal, was sie getan haben, oder, was die Eigenverantwortung
aufzuheben beliebt, "was
im Krieg passierte." Die abgedroschene, abgewetzte
und jeden emotionalen Verstehens
bare Ausdrucksweise der Lippenparolen verraet ein
voelliges Unverstaendnis fuer die
Qualen der Opfer und den entzueckten Sadismus der
Taeter. Die Verwendung von
Ausdruecken wie: "Im Feld geblieben, im Krieg gefallen,
als der Krieg kam, als der Krieg
ausgebrochen ist" verhamlosen, was Menschen Menschen
angetan haben. Der Krieg kam
nicht mit dem Zug und stieg nicht auf dem Hauptbahnhof
aus, der Krieg brach nicht aus
einem Kaefig aus, der Mensch blieb nicht wie ein
vergessener Spaten im Feld und fiel nicht
wie ein lockerer Ziegelstein vom Dach. Worte wie
"liquidiert, gesaeubert, ausgeschaltet",
benutzt zur Beschreibung von Mord, Folter und Qualen,
lassen nichts von dem Schrecken
und der Grausamkeit ahnen, die die Menschen erleiden
mussten. Es sind leere Huelsen
einer Popcorn-Sprache, die nurmehr einen salzigen
oder zuckrigen Nachgeschmack
erzeugt, anstatt etwas von der bitteren Wirklichkeit
schmecken zu lassen. Es kommt kaum
vor, dass jemand oeffentlich sagt: "Als wir Deutsche
den Krieg angefangen haben..." Es
wird von einem "Feldzug" gesprochen, als ob der
II. Weltkrieg ein Spaziergang auf einer
Wiese gewesen waere, und die Judenpogrome des 9.
Novembers 1938 (dieses Datum
wollten vor sechs Jahren viele Politiker zum nationalen
Feiertag der Wiedervereinigung
erklaeren) werden bis heute noch als "Reichskristallnacht"
bezeichnet, ein Wort, das in der
Nazi-Zeit erfunden wurde und das eher an ein rauschendes
Fest als an brutale
Vergewaltigung menschlicher Wuerde denken laesst.
Was empfaende ein Deutscher, wenn
auslaendische Zeitungen z.B. die Bombardierung Dresdens
etwa als "Aliierten-Grillnacht"
bezeichnen wuerden?
Der Umgang mit der Vergangenheit faellt selbst den
deutschen Schriftstellern schwer, die
den deutschen Landser in den Darstellungen der Nachkriegszeit
als jemanden
beschreiben, der von gar nichts gewusst hat, oder
als einen verfuehrten Naivling, wie ihn
z.B. Boell und Lenz gezeichnet haben.
Ein Deutscher als Bestie, die sadistischen Spass
an der Angst, Erniedrigung und Qual
eines Anderen hat, die mit Spass gemordet und gefoltert
hat, taucht in der
"Vergangenheitsbewaeltigung" der Deutschen kaum
auf. Die planmaessige Vernichtung
von Menschen durch die Deutschen in den Jahren 1933-1945
wurde im
Nachkriegsdeutschland wie ein Ausrutscher behandelt,
fuer den man lediglich 100 mal "Wir
werden ab jetzt brav sein" an die Schultafel zu
schreiben hat, um dann zur Tagesordnung
uebergehen zu koennen: Voelkermord ex-und-hopp.
In den deutschen Filmen der Nachkriegsjahre werden
die Menschen im Krieg, ob Taeter
oder Opfer, schablonenhaft und unecht wie in einem
Heimatfilm charakterisiert, als
Holzkoepfe von der emotionalen Differenziertheit
eines Heino. Erst wieder bei Fassbinder
wird etwas von dieser sadistischen Grausamkeit spuerbar,
unter der er zugleich selbst litt
und die er verbreitete.
Wenn ein Sonderheft des Spiegel im Jahre 1992 nicht
etwa die Ueberschrift "Juden in
Deutschland" traegt, sondern "Juden und Deutsche",
(Juden und Deutsche, Spiegel
Nr.2/1992) womit deutsche Juden implizit als Nicht-Deutsche
ausgegrenzt werden, dann ist
dies ein rassistischer, antisemitischer Akt, genauso
wie das Gerede von "juedischen
Mitbuergern",(Schmalz-Jacobsen, Cornelia: Leib und
Leben In: Die Zeit Nr.49 vom
27.11.92, S.1) als ob Deutsche juedischen Glaubens
keine vollberechtigten Buerger dieses
Staates waeren, sondern lediglich "Mit-Buerger"
neben den "eigentlichen vollwertigen
Buergern", die dann wohl keine Juden, sondern eben
Deutsche seien. (Seligman, Rafael:
Baden-Badener Disput vom 7.11.92. Suedwest`Fernsehen)
Nur folgerichtig ist die
Anweisung des Bundesaussenministeriums an deutsche
Botschaften und Konsulate in der
GUS, dass Menschen, die als deutsche Aussiedler
die Einreise nach Deutschland
begehren und die sich zugleich als Juden zu erkennen
geben (sowjetische Juden in der
ehemeligen UdSSR mussten in ihrem Pass den Entrag
"Jude" tragen), deswegen nicht als
Menschen deutscher Abstammung zu betrachten sind;
Jude zu sein ist also in diesem
Zusammenhang nach Einsicht deutscher Behoerden auch
heute noch ein
Ausschlusskriterium fuer eine Anerkennung als Deutscher.
(ebd.) |