Zum 70-en von Professor Ottokar Uhl

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S.A.R.
FALLSTUDIE:

S.A.R. METHODE: OTTOKAR UHL "WOHNEN MORGEN" HOLLABRUNN (ÖSTERREICH) 1972-76

 
Die S.A.R.-Gruppe

1964 wurde die Forschungsgruppe "Stichting Architecten Research" (SAR) in den Niederlanden auf Initiative von 9 Architekturbüros und dem Bund der Niederländischen Architekten gegründet. Deren Leiter, Habraken, ist ein Vertreter des partizipatorischen Bauen im Kontext "emanzipatorischer Strukturdynamik".

Eine seiner Analysen bezieht sich auf die Stadtpläne von Nolli, in denen die Monumente in gewöhnlicher Bausubstanz sichtbar werden (Abb. 37). Über Jahrhunderte bildete ein Wechsel von individueller Aktivität und kollektiven Übereinkünften das feinmaschige Gewebe der Städte. Durch den Unterschied zwischen dem Handlungsspielraum des einzelnen und der Gemeinschaft war ein hohes Maß an Partizipation zugelassen worden. Nach der industriellen Revolution wurden undifferenzierte Häuserblöcke den sozio-ökonomischen Bedingungen angepaßt. Die Vergröberung der städtischen Struktur im Massenwohnungsbau der 50er und 60er Jahre stellte in dieser Entwicklung einen Höhepunkt dar.

Eine Möglichkeit, die technischen Voraussetzungen für die Lösung der quantitativen Probleme zu schaffen, sah Habraken in der Realisation von solchen Tragstrukturen, in denen industriell hergestellte Wohnungen unabhängig eingesetzt werden können. Voraussetzung hierfür ist, daß die Produktion demokratisiert und eine Dezentralisierung des Planungswesens bewirkt wird.

Die SAR Gruppe bereitete die Industrialisierung und die Partizipation im Wohnungsbau vor. Ziel war eine Klärung der grundsätzlichen, planungstechnischen und baulichen Anforderungen sowie die Ermittlung der verschiedenen Spielräume, innerhalb derer die Nutzerbeteiligung erfolgen kann. Dabei unterschieden sie zwischen "Struktur" und "demontierbarem Element": Rohbau (Wohnstruktur für die Gemeinschaftsnutzung) und Ausbau (Einbaupaket für den Individualbedarf). Diese zwei Bau-Teile gehören unterschiedlichen Generationen an. Da die Wohnung in einer Wohnstruktur selbständig ist, kann sie entsprechend erneuert werden. Im Laufe der Zeit dehnte die Gruppe ihre Forschungsaktivitäten auf die Siedlungsplanung aus.

Bei Umsetzungsversuchen stand die Systematik der Arbeitsweise im Vordergrund: die Gewinnung von verallgemeinerbaren Erfahrungen, die der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, um Folgeprojekte darauf bauen zu können. Der Originalitätsanspruch des Einzelprojektes wurde der Anhäufung des bautechnischen und sozialplanerischen Wissens untergeordnet.

Ausgangssituation

Hollabrunn ist eine Bezirksstadt im Weinviertel. Grund um den Wettbewerb auszuloben war, daß, infolge der Entstehung neuer Schulen und Betriebe, eine größere Wohnungsnachfrage erwartet wurde. Bei dem Wettbewerb "Wohnen morgen", den das österreichische Bundesministerium für Bauten und Technik jährlich durchführt, erhielten 1971 die Architekten O. Uhl, J. Weber und der Soziologe R. Dirisamer den ersten Preis und 1972 den Bauauftrag für die erste Baustufe.

"Der Wettbewerbsbeitrag hatte ein sehr allgemeines, räumliches Regelungsprinzip vorgesehen, in dem auf der Grundlage der S.A.R. Methode nur die Konstruktionszonen, die konstruktionsfreien Zonen und bestimmte Achsmaße festgelegt waren. Verschiedene Baustrukturen und Gebäudetypen, die innerhalb des Prinzips möglich sind, wurden aufgezeichnet mit dem Ziel, den am Hollabrunn beteiligten Gremien und nicht zuletzt den zukünftigen Wohnungsnutzern die Entscheidung über die Art der Bebauung zu übertragen" (Abb. 38). Uhl arbeitete hier erstmals mit dieser Methode. Zwischen 1973-76 wurde der erste Bauabschnitt mit etwa 70 Eigentumswohnungen als Demonstrativbauvorhaben des Bundeslandes Niederösterreich am Stadtrand von Hollabrunn ausgeführt.

Architektonisches Konzept

Bauliches Konzept: Vom Planer (Bauträger) wurde ein - bezüglich der städtebaulichen Situation, Wohnungsvielfalt, Bodengüte, Baukosten, Bauzeit optimiertes tragendes Gerüst - bestehend aus Stützen, Trägern und Decken errichtet (Abb. 39). Dazu kommen die notwendigen Stiegen für die Erschließung der oberen Geschosse und die Ver- und Entsorgungsleitungen im Bereich der Stiegen. Diese Struktur kann nach Belieben mit Wohnungen ausgefüllt werden, die auch später jederzeit veränderbar sind. Dadurch wurde das Problem einer Planung, wo die künftigen Nutzer nicht bekannt sind, zuerst gelöst (Abb. 40).

Partizipatorischer Ansatz

Eine Partizipation auf städtebaulicher Ebene wurde durch die Festlegungen des Bauträgers (Entscheidung für eine dreigeschossige, verdichtete Bauweise, Festlegung der Art und Anordnung der baulichen Primärstruktur) verhindert (Abb. 41).

Hier ist von einem objektorientierten Ansatz die Rede. Die Ästhetik ist nicht nur eine Gestaltung des Nützlichen. Die ästhetische Aktivität des Menschen hat letztlich den Menschen selbst zum Ziel. Sie ermöglicht die Selbstentfaltung der Persönlichkeit. Da die Architektur verkauft werden soll, werden die Architekten zu Agenten ästhetisiert vorgetragener Gebrauchswert-Versprechen. Der tatsächliche Gebrauchswert wird aber allzu oft von den Betroffenen der Planungsdiktate beurteilt. An Stelle der Spitzenleistung einzelner Ästhetikfachleute ist eine reduzierte ästhetische Leistung vieler zu fordern (Abb. 42). Ziel der Partizipation am gesamten Planungsprozeß ist im sozialen Wohnungsbau die Demokratisierung der Ästhetik. Dadurch nimmt der Warencharakter der Wohnung ab und der Gebrauchswert wird vom Wohnungsnutzer selbst mitrealisiert. Für ihn wird ein Lernprozeß ermöglicht.

Notwendig ist die Emanzipation (zwingt zum Verändern) des Benutzers gegenüber den Architekten und der Übergang von der Endzustandsplanung zu einer Entwicklungszustandsplanung.

Ottokar Uhl hatte sich seit den 50er Jahren mit Fragen des industrialisierten Bauens befaßt. 1957 ist ihm die S.A.R. Methode an der Sommerakademie in Salzburg begegnet. Uhl betonte den dienenden Charakter der Technik für die Herstellung einer unprätentiösen, leicht zu verändernden Umwelt. "Die Offenheit von Produktionsmethoden und Bauformen sollte emanzipatorische Prozesse und soziokulturelle Fähigkeiten ermöglichen und unterstützen". Neben der spontanen Partizipationspraxis suchte er nach deren Professionalisierung, wodurch der Anstieg des Gebrauchswertes und der erreichte Grad der Partizipation meßbar wären. O. Uhl sprach sich 1967 für die Überwindung der funktional festgelegten, thematischen Architektur aus. Der Kritik an der "thematischen Architektur" liegt der Gedanke zugrunde, daß eine Verbesserung unserer gebauten Umwelt nicht in "guter Architektur" liegt, sondern in einer Verbesserung der Prozesse um das Bauen (Prozessuale Architektur).

Der eigentliche Partizipationprozeß begann 1974 mit monatlichen Beratungsgesprächen von Architekten der Planungsgruppe und einem Vertreter des Bauträgers. Im Rahmen dieser Gespräche wurden die Lage (Unterteilung der vorgegebenen Tragstruktur in Wohneinheiten) und Größe der Wohnung, dann anhand eines veränderbaren Modells (M. 1:200) der Wohnungsgrundriß und die Fassade, später die Wohnungsaustattung festgelegt (Abb. 43, 44). Die potentiellen Bewohner setzten sich mit den Fragen des Wohnens auseinander, während sich die Planungsgruppe ein Bild von den zu erwartenden Bewohnern machen konnte.

Ab Oktober ´74 wurden die Details (Modell M. 1:20) mit jedem einzelnen Wohnungsnutzer in mehreren Beratungsgesprächen erarbeitet. Außerdem wurden regelmäßig Nutzerversammlungen über allgemeine Fragen (Art der Beziehung, Art und Lage von Gemeinschaftseinrichtungen, Nutzung der Außenanlagen) abgehalten.

Am Ende der Planungszeit fanden Baustellenbesichtigungen und -sprechstunden statt. Auf Eigeninitiative wurde von den Nutzern auch die planmäßige Ausführung ihrer Wohnungen in Koordination mit der örtlichen Bauleitung kontrolliert.

Die verstärkte Anteilnahme am Baugeschehen besonders in der Innenausbauphase zeigt, daß die Nutzer erstens an der eigenen Wohnung interessiert waren. Sie führten teilweise Ausbauarbeiten (z.B. Malerarbeiten) durch (Abb. 45). Den ursprünglich vorgesehenen Gemeinschaftsraum lehnten die Wohnungskäufer ab, dafür zeigen sich in der Wohnungsinnenumbau einige innovativ. Bezogen wurde das Haus im Herbst 1976 (Abb. 46).

Auswirkungen

Der Prozeß der Planung in Hollabrunn ist bis heute nicht abgeschlossen. Denn wenn man auch die Veränderung der gesamten Wohnbedingungen als Teil von Planung begreift, sie sogar antizipiert und fordert, so ist da, wo die Menschen ihre Wohnungen bewohnen dieser Planungsprozeß nicht abgeschlossen (Abb. 47). Der Wettbewerbsbeitrag, sah, den Voraussetzungen entsprechend, 300 Wohnungen auf einem größeren Areal auf das Bachpromenade vor. Da die Wohnungsnachfrage überschätzt wurde, entschied sich die Gemeinde um den Großteil des Wettbewerbareals für Sportanlagen zu nutzen. 1975 wurde mit der Planung und 1987 mit dem Bauen für der zweiten Bauteil (40 Wohnungen) des Projektes angefangt.

Die Diskrepanz zwischen angestrebtem Ideal und Wirklichkeit im bautechnischen (begrenzte Flexibilität durch die Trennwände) und im partizipatorischen (nur etwa die Hälfte der zukünftigen Nutzer erreicht) Bereich schränken den konkreten Fall Hollabrunn ein. Die Planungsgruppe strebte aber nach möglichst vielen verwertbaren Erfahrungen durch ein planerisches Experiment. Es wurden dafür begleitende Forschungsprojekte durchgeführt: eine soziologische Studie durch systematische Dokumentation und Analyse, eine bautechnische Studie der Möglichkeiten individualisierter Wohnungen mit standardisierter Fertigung, eine technisch-ökonomische Studie der bautechnischen Möglichkeiten unter dem wirtschaftlichen Aspekt der Relation von Herstellungs- und Betriebskosten. Diese begleitende Projekte ermöglichten die Weiterentwicklung der Wettbewerbsidee. Das Hollabrunnprojekt markiert dadurch den Schritt vom Einzelprojekt zur Bauforschung.

Im Rahmen des Partizipationsprozesses Hollabrunn war, im Unterschied zur sonst im sozialen Wohnungsbau üblichen Beziehung zwischen Wohnungsnutzern und Planern in Form einer Klientel-Beziehung, diese in Form von kooperativem Planungshandeln zu konstituieren. Nur gemeinsam mit den "Betroffenen" und Vertretern verschiedener Disziplinen, sind die anstehenden komplexen Planungsaufgaben verantwortungsbewußt zu lösen. Professionalität muß neu definiert werden.

Flexibilität durch das Nutzten von Elemente einer "Primärstruktur" und Elemente "zweiter Ordnung" wurde im "Haus der flexiblen Bewohner in Linz-Haselgraben, Österreich von Architekten H. Frohnwieser, H. Pammer, E. Telesko und H. Werthgartner. Ähnliche Strukturprinzipien verwendete van Klingeren für "t´Karregat", ein Quartierszentrum in Eindhoven (1973). Er erreicht in diesem Entwurf mehr als O. Uhl, der nach Teilnahme anstrebte, nämlich die Teilhabe, gefördert durch einen emanzipatorischen Milieu.



 
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