Maxim Biller kaempft gegen Windmuehlen,
wenn er schreibt, dass Deutschland die von ihm
ermordeten und vertriebenen Juden beweinen und darunter
leiden wuerde. Das ist einfach
nicht wahr. Deutsche beweinen sich selbst, nicht
die Juden. Biller macht irritierte und
irritierende Gesten, die fuer ihn "nervende" Ungeheurlicheit
des Judenmords loszuwerden,
und führt den Chor der sich selbst bemitleidenden
Deutschen vor: "ach, wie schwer haben
es die Deutschen mit ihrer Geschichte! Sie sind
bemitleidenswert, die Armen."
Es geht jedoch um die Frage, ob Deutsche die Verantwortung
fuer ihre Geschichte,
darunter auch den Holocaust, und nicht nur Bach
oder Beethoven, uebernehmen oder nicht.
Niemand verlangt, dass sich die Nachkriegsgeneration
selbst schuldig fuehlt, den dies
wuerde eine Identifikation mit den Taetern bedeuten.
Wenn Biller jedoch seine
Verantwortung fuer den Umgang mit der Geschichte
des Holocausts für sich persönlich
ablehnt, darf er sich sich zu diesem Thema gar nicht
aeussern.
Seine vordergründig zynische, eigentlich jedoch
zutiefst traumatisierte Weise, mit der er
den Horror behandelt, würde ebenfalls nerven,
wenn nicht dahinter eine Hilflosigkeit
gegenüber der eigenen Geschichte stehen würde,
die offenbar lediglich noch eine
verklausulierende journalistsiche Häme hervorbringen
kann, anstatt offen auszusprechen,
was ihn tatsächlich bewegt.
Als Timanthes von Kythnos etwa 400 Jahre ante domini
den Schmerz der Umstehenden bei
der Opferung der Iphigenie nach dem Mass der Anteilnahme
eines jeden am Tode dieser
schoenen und unschuldigen Jungfrau darstellen sollte,
und da er bereits die aeussersten
Kraefte seiner Kunst erschoepft hatte, zum Vater
des Maedchens gelangte, malte er diesen
verhuellten Hauptes, gleichsam als vermoechten keine
Gesichtszuege ein solches Mass
von Traurigkeit auszudruecken. Darum laesst auch
Ovid jene elende Mutter Niobe,
nachdem sie erstlich sieben Soehne und danach ebenso
viele Toechter verlor,
ueberschwer beladen von Verlusten, endlich in einen
Felsen verwandeln, um diese dumpfe,
stumme und taube Fuehllosigkeit anschaulich zu machen,
die uns durchdringt, wenn die
Schlaege, die uns treffen, ueber unsere Kraefte
gehen. Fuerwahr, die Gewalt einer
Kraenkung muss, wenn sie zum Aeussersten geht, die
ganze Seele bestuerzen und ihrer
freien Regungen berauben, so wie es uns im jaehen
Erschrecken ueber eine unheilvolle
Nachricht widerfaehrt, uns beklommen, erstarrt und
wie in allen Gliedern gelaehmt zu
fuehlen. Wer sagen kann, wie er brennt, steht in
schwachem Feuer - sagt Petrarca, um eine
unertraegliche Leidenschaft zu beschreiben. Alle
Leidenschaften, die man wiederkaeuen
kann, ohne sich den Gaumen dabei zu verbrennen,
koennen nur lau sein. Leichte
Bekuemmernis redet, unendliche verstummt, meint
Seneca.
So viel zu den Schwierigkeiten der Ueberlebenden
des Horror Teutonicus, darueber zu
sprechen.
Piso, der Schwiegersohn Ciceros, in allen uebrigen
Dingen ein Mann von unbescholtener
Rechtschaffenheit, war ueber einen seiner Soldaten
ergrimmt, weil er allein vom Futterholen
zurueckkehrte und ihm keine Auskunft ueber das Verbleiben
seines Begleiters geben
konnte, und da er es fuer erwiesen hielt, dass er
ihn umgebracht habe, verurteilte ihn
ungesaeumt zum Tode. Als er unter dem Galgen stand,
traf unverhofft sein verschollener
Gefaehrte ein. Das ganze Heer war darueber in Jubel,
und nach vielen Umarmungen und
Kuessen der beiden Kameraden fuehrte der Henker
sie beide vor Piso, und alle
umstehenden erwarteten nichts anderes, als dass
dieser Ausgang ihm selbst eine grosse
Freude waere. Aber gerade das erfand seinen Zorn,
der sich noch nicht gelegt hatte und
mit einer Spitzfindigkeit, die ihm sein kochendes
Gemuet auf der Stelle eingab, heckte er
drei Schuldige aus, wo er einen Unschuldigen gefunden
hatte, und liess sie alle drei
aufknuepfen: den ersten Soldaten, weil sein Urteil
gesprochen war; den zweiten, der sich
verirrt hatte, weil er am Tode seines Gefaehrten
schuld war; und den Henker, weil er dem
gegebenenBefehl nicht gehorcht hatte.
So viel zu den Schwierigkeiten der Deutschen ueber
den von ihnen angerichteten Horror zu
sprechen.
Kein Ende
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